Partizipation als Grundlage für eine zielführende Strategieerarbeitung
Es ist also unbedingt erforderlich, dass sowohl Autisten als auch deren Angehörige aktiv in den Erarbeitungsprozess eingebunden werden. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass die erarbeiteten Lösungen auch wirklich dort ansetzen, wo sie tatsächlich effizient wirken können. Die aktive Beteiligung bietet also eine ständige Qualitätskontrolle der Vorschläge und besprochenen Lösungsansätze - aber nur, wenn alle Beteiligten auf Augenhöhe wahrgenommen und Einwände auch ernst genommen werden.
Wie wird eine Partizipation bei der Erarbeitung der Autismus-Strategie umgesetzt?
Um diese Frage beantworten zu können, muss ich etwas weiter ausholen und die generelle Konzeption des Projekts näher erläutern. Grundsätzlich besteht das Projekt aus insgesamt acht Projektgruppen, die ich nachfolgend kurz aufführen möchte.
- Lenkungsgruppe
- Versorgungsgrundsätze
- Forschung
- vor dem Erwerbsleben
- im erwerbsfähigen Alter (umfasst also sowohl die Autisten im Eigenerwerb, als auch die nicht erwerbsfähigen Autisten)
- nach dem Erwerbsleben
- Selbsthilfe Betroffene
- Selbsthilfe Angehörige
In den einzelnen Projektgruppen werden die Themen erarbeitet, die Berührungspunkte mit ihrem jeweiligen Bereich aufweisen. Am Beispiel der Projektgruppe "im erwerbsfähigen Alter" sind diese z.B.
- Erwerbsleben / Erwerbsfähigkeit (schaffen, bzw. erhalten)
- Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
- Wohnen
Die Projektgruppen bestehen unter anderem aus Vertretern der Bezirke, Kultusministerium, Arbeitsamt, Jugendamt, Autismus-Kompetenzzentren, Einrichtungen, Therapeuten, Rentenversicherung und sonstigen Förderstellen und Kostenträgern. Ich bitte zu entschuldigen, dass diese Liste aufgrund der Komplexität und der großen Anzahl an Beteiligten nicht vollständig ist. Sie soll nur der Veranschaulichung der Vielfalt der eingebundenen Personen dienen.
Einzig die Krankenkassen haben bislang keine Vertreter in die Projektgruppen entsendet, was ich in der Vergangenheit mehrmals scharf kritisiert hatte - nicht zuletzt auch in der Projektgruppe "Versorgungsgrundsätze", in der neben den Kostenträgern auch eine Vertreterin des Landesjugendamtes und des bayerischen Behindertenbeauftragten sitzen. Angeblich werden nun aber doch Delegierte der Krankenkassen in die Projektgruppen entsendet. Die Erarbeitung der Strategie stünde unter einem schlechten Zeichen, könnten sich die Krankenkassen so ohne Weiteres aus der Affäre ziehen. Ob und in welcher Form sich die Kassen beteiligen, werde ich mit Argusaugen beobachten - versprochen! EDIT: mir wurde gerade zugetragen, dass doch ein Vertreter der Krankenkassen geschickt wurde - dieser ist Teil der Projektgruppe "nach dem Erwerbsleben". Ich bitte dieses Missverständnis zu entschuldigen. Ein Delegierter in einer einzigen Projektgruppe ist aber dennoch zu wenig - schließlich haben nicht nur Autisten höheren Alters mit den Kassen zu tun.)
Doch nun zurück zur Partizipation - um den Partizipationsgedanken in die Tat umsetzen zu können, wurden zu den "normalen" Arbeitsgruppen auch zwei Projektgruppen gebildet, in denen Vertreter der jeweils betroffenen Personengruppe sitzen. Zur Bildung der Projektgruppen wurden im Vorfeld offene, "runde Tische" mit den jeweiligen Vertretern veranstaltet, aus denen dann die Projektgruppen konstituiert wurden. Um auch den Personen eine Mitwirkung an der Erarbeitung der Autismus-Strategie zu ermöglichen, die zum runden Tisch verhindert waren, wurde die Möglichkeit gewährt, einzelne Personen nachmelden zu können.
Mitwirkung der Selbsthilfe in allen Projektgruppen
Es kommt immer wieder die Frage auf, wie - insbesondere Autisten - aktiv in die Erarbeitung der Autismus-Strategie eingebunden werden können und wie stark wir tatsächlich vertreten sind. Um nicht nur eine Mitarbeit in den Selbsthilfe-Projektgruppen zu ermöglichen, sondern eine volle Mitwirkung zu gewährleisten, werden aus den Projektgruppen der Selbsthilfe Delegierte in alle anderen Projektgruppen entsendet. Herr Prof. Dr. Witzmann hat sich zudem dafür eingesetzt, dass der Projektgruppe der Autisten eine Sonderrolle zuteil wird. Statt nur einem Delegierten dürfen wir nämlich zwei Delegierte in die Arbeitsgruppen entsenden.
Meiner Meinung nach sind wir somit angemessen in den einzelnen Projektgruppen repräsentiert, da wir - zusammen mit den Eltern und Angehörigen - mit jeweils drei Personen in den entsprechenden Gruppen vertreten sind. Neben der besseren Vertretung sehe ich eine Entsendung von zwei Autisten in die jeweiligen Projektgruppen auch aus einem anderem Aspekt sehr positiv. So bietet sich die Möglichkeit, mit einem Ankerpunkt an den Treffen teilnehmen zu können. Die Arbeit in den Gruppen erfordert ohnehin ein großes Maß an Flexibilität und Spontanität, so dass ein beständiger Fixpunkt hier eine sehr beruhigende Wirkung hat. Zudem kann so ein weiterer Blickwinkel in den Diskurs eingebracht werden - denn jeder Autist hat ganz eigene Ansichten und Bedürfnisse, die ebenfalls Beachtung finden müssen.
Persönliche Einschätzung zur gelebten Partizipation
Es war mir bereits bei der ersten Sitzung ein wichtiges Anliegen, dass wir von Anfang an geschlossen an den Projektgruppentreffen teilnehmen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass wir nur über unser starkes Engagement die Wichtigkeit des Projekts für unser aller Zukunft deutlich machen und von Beginn an ein Arbeiten auf Augenhöhe etablieren konnten.
Aus diesem Umstand heraus habe - unter anderem - ich mich dazu bereit erklärt, als Springer die Lücken in den Reihen der Delegierten aufzufüllen, da die Termine der ersten Projektgruppentreffen sehr spontan eingeplant werden mussten.
(Zu diesem Punkt der Planung der Strategieerarbeitung ist eine Kritik an der Partizipation durchaus berechtigt - der runde Tisch und die zu diesem geladenen Autisten, wurden mit einem kurzfristig einzuplanenden Zeitplan konfrontiert, der so manchen durchaus überfordert hatte. Eine langfristigere Information (die nicht spontan an Gültigkeit verliert) wäre besser gewesen. Ich möchte aber keineswegs Vorwürfe erheben - alle Beteiligten leisten unglaubliches. Dass in der Fülle einmal etwas übersehen wird, (was zudem bei den meisten Menschen nicht einmal ein Nachdenken erfordert) ist nur menschlich.)
Demzufolge war ich bei den ersten Treffen von insgesamt vier Projektgruppen anwesend und konnte daher einen guten Eindruck davon erlangen, wie unsere Mitarbeit von den entsendeten Fachkräften oder Behördenvertretern aufgenommen wurde.
Bei jedem Projektgruppentreffen, an dem ich bislang teilgenommen habe, konnte ich durchweg dieselbe Resonanz feststellen. So wurde jedes Mal von Seiten des Fachpersonals betont, wie sehr man unsere Mitarbeit schätze und wie wichtig es ist, die Sicht der Autisten zu erfahren und diese in die Strategieentwicklung einfließen zu lassen. Ich habe den Eindruck, dass diese Aussagen tatsächlich aufrichtig und ehrlich gemeint waren, denn auch trotz teils hitzigen Diskussionen waren diese doch stets auf Augenhöhe und unsere Einwände wurden durchaus ernst genommen.
Ich muss ehrlich gestehen, dass ich im Vorfeld nicht damit gerechnet hatte, dass unsere Mitarbeit derart positiv aufgefasst werden würde. Stattdessen hatte ich mit weitaus mehr Widerstand bei den anwesenden Kostenträgern erwartet, der bislang aber komplett ausgeblieben ist. Wir werden sehen, ob sich dies ändert, sobald wir den Projektstatus erreichen, an dem konkrete Vorschläge für die Gesetzgebung ausformuliert werden.
Ein weiterer Punkt, der mich sehr überrascht hatte, war das Eingeständnis der Behördenvertreter, dass sie (bzw. deren Mitarbeiter) oftmals einfach nicht über das notwendige Fachwissen verfügen, um Autisten adäquat versorgen zu können. Die Bereitschaft, dieses Wissensdefizit aufzuholen wäre bei den Mitarbeitern durchaus vorhanden, allerdings mangelt es hierfür allzu oft an Ausbildungs-/ Weiterbildungsangeboten oder schlichtweg an der zeitlichen Kapazität für solche Maßnahmen. Die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal muss also ebenfalls ein Bestandteil der Autismus-Strategie-Entwicklung werden. Denn nur ausgebildetes und im Umgang mit Autisten geschultes Personal verfügt über genügend Fachkompetenz und Verständnis, um eine qualitative Einschätzung der Bedarfe des Einzelnen abgeben zu können.
Projektgruppenmoderation
Zusammen mit Silke Wanninger-Bachem habe ich die Moderation / Koordination der Projektgruppe Autisten übernommen, was mich persönlich gleichermaßen freut, wie ehrt. Ich möchte allen Projektgruppenmitgliedern ganz herzlich für ihr mir/uns entgegengebrachtes Vertrauen bedanken. Ich verspreche, stets das Beste für alle Autisten erreichen zu wollen.
Durch die Übernahme der Moderation stehen wir den anderen Arbeitsgruppen auch organisatorisch in nichts nach. Wir kümmern uns selbstständig um die Belange der einzelnen Mitglieder und die grundsätzliche Organisation der Erarbeitung der einzelnen Punkte. Die Zusammenarbeit innerhalb der Projektgruppe und insbesondere Silke ist geprägt durch konstruktives und zielorientiertes Arbeiten und den Wunsch, die Lebensqualität und die Versorgungssituation von Autisten langfristig zu verbessern.
Sollten Fragen zur Erarbeitung der Autismus-Strategie oder der Projektgruppenarbeit auftreten, stehen Silke und Ich euch gerne mit näheren Informationen zur Verfügung. Bitte versteht, dass wir allerdings keine Informationen zu Interna veröffentlichen werden, um die Projektgruppe vor Angriffen von außen zu schützen.
Meine Ziele, welche ich in den Projektgruppen durchsetzen möchte
Flexibilität. Denn eine starr ausgelegte Autismus-Strategie wird einem fließendem Spektrum niemals gerecht werden können und sehr schnell an ihre Grenzen kommen. Kein Autist ist gleich und selbst derselbe Autist wird in derselben Situation nicht zwingend so reagieren, wie er es die Male zuvor getan hat. Daher ist es eminent wichtig, dass eine Autismus-Strategie flexibel genug aufgebaut ist, um genau diese Komplexität abdecken zu können.
Mein Hauptziel ist es also, dafür zu kämpfen, dass in die Strategie-Empfehlungen mit aufgenommen wird, dass jeder Autist individuell betrachtet wird und sein momentaner Bedarf die Grundlage für den Unterstützungsanspruch darstellt. Individuelle Hilfen für individuelle Bedarfe.
Zudem darf Autismus nicht mehr anhand äußerer Erscheinungsmerkmale klassifiziert werden. Es gibt keinen "leichten" Autismus - genauso wenig, wie es eine "leichte" Querschnittslähmung gibt. Der Autismus an sich muss die Grundlage für den GdB bilden und dann ergänzend betrachtet werden, welche Komorbiditäten oder besondere Ausprägungen der Einzelne aufweist.
Gerade weil eine bayerische Autismus-Strategie Vorbildcharakter für weitere Bundesländer und auch eine ggf. kommende bundesdeutsche Autismus-Strategie haben wird, muss hier ebenfalls berücksichtigt werden, wie der GdB bei Autisten bemessen werden muss, wenn dieser zukünftig nicht mehr in diskriminierender Weise vergeben werden soll, wie dies aktuell der Fall ist. Unabhängig davon, dass die Bemessungsgrundlagen für die Vergabe des GdB auf bundesebene geregelt werden. Dieser Punkt ist einfach zu wichtig, um ihn in der Strategie unerwähnt zu lassen!
Unnötig zu erwähnen, dass die Strategie keinen speziellen Fokus auf einen bestimmten Bereich des Spektrums legen darf. Stattdessen muss das Spektrum in seiner Gesamtheit und die Individualität des Einzelnen im Mittelpunkt stehen, wie ich dies eingangs bereits erwähnt hatte. Die Förderung und Unterstützung, die nötig ist muss auch gewährt werden.
Nur so sind effektive Hilfen überhaupt möglich!